Anhang 10

Entschließung des I. Ordentlichen Kongresses der EUROPA-UNION (22. Mai 1949)

„Schon als im Jahre 1948 im Parlamentarischen Rat das Grundgesetz entworfen wurde, sahen wir eine Bestimmung vor, nach der durch einfaches Gesetz Teile unserer Souveränität auf eine europäische Gemeinschaft übertragen werden konnten. Das war eine Anerkennung der Richtigkeit der Auffassung, dass die Nationalstaaten infolge der nach dem großen Kriege eingetretenen Entwicklung nicht mehr in der Lage waren, Europas Stellung in der Welt zu sichern.“ (Konrad Adenauer 1955-1959: 14)

Diese Entschließung aus dem Jahre 1949 der EUROPA-UNION Deutschland wurde auf dem sMEF/AEF Vereinigungskongress vom 13. bis 15. April 1973 in Brüssel als eines der neun wichtigsten Grundlagendokumente der Union Europäischer Föderalisten benannt. Nicht nur deswegen lohnt sich seine Lektüre noch heute. Sie finden dieses Dokument auch bei Karlheinz Koppe (1967: 200-204, Dokument 7).

Entschließung

  1. Die EUROPA-UNION bekennt sich erneut zur parteipolitischen und weltanschaulichen Neutralität.
  2. Die EUROPA-UNION erstrebt ein geeintes Deutschland im geeinten Europa.

Der Zusammenschluss aller Teile Deutschlands in einer Bundesrepublik, in der die Menschen- und Bürgerrechte gesichert sind, dient der Bildung der europäischen Föderation, überwindet machtpolitische Gegensätze, fördert die europäischen Entwicklung Deutschlands und trägt dadurch zur Erhaltung des Friedens bei.

Die in den Artikeln 24 und 25 des Bonner Grundgesetzes zum Ausdruck gebrachte Entschlossenheit Deutschlands zur Eingliederung in die Europäische Union ist ein entscheidender Schritt zur Verwirklichung dieses Zieles.

  1. Ein solches Bekenntnis zu Europa lässt eine Neutralisierung Deutschlands nicht zu. Einerseits wäre Deutschland nicht imstande, seine Neutralität aus eigener Kraft zu wahren, andererseits würde eine ungeschützte Neutralität im Ernstfall nicht beachtet werden. Der einzige und wirksame Schutz Deutschlands liegt in der Eingliederung in eine starke europäische Föderation
  2. Die Europa-Union in Deutschland erblickt ihre Aufgabe darin, den europäischen Gemeinschaftsgedanken im deutschen Volke zu fördern und auf die deutschen Parlamente und Regierungen zur Mitarbeit am europäischen Einigungswerk ständig einzuwirken. Als ordentliches Mitglied der „Union Européenne des Fédéralistes“ sieht sie ihre Aufgabe in der Zusammenarbeit mit den anderen europäischen Einigungsbewegungen zur Schaffung einer tragfähigen Grundlage für die europäische Föderation. Sie erstrebt in Übereinstimmung mit der Europäischen Bewegung die baldige und uneingeschränkte Teilnahme Deutschlands am Europarat in Straßburg.
Wirtschaft

Die Wiederherstellung der wirtschaftlichen Handlungsfähigkeit für Deutschland im Rahmen einer europäischen Wirtschaftseinheit wird von der Europa-Union als das vordringlichste Ziel aller wirtschaftspolitischen Bemühungen angesehen. Aus dieser Erkenntnis heraus fordert die Europa-Union:

A. 1. Die Beseitigung der zur Zeit bestehenden Handelsbeschränkungen in Europa;

Vorbereitung von Zollunion durch bilaterale Verträge, mit dem Ziel der Errichtung einer europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, sowie den stufenweisen Abbau sämtlicher Zollgrenzen innerhalb Europas;

Die Einführung einer gemeinsamen europäischen Währung über die Vorstufe der allseitigen Austauschbarkeit der europäischen Währungen;

Einführung eines europäischen Passes über die Vorstufe der Abschaffung des Visumszwanges;

Vereinheitlichung des Warenverkehrs durch Schaffung eines europäischen Frachtbriefes.

  1. Zur wollwirksamen Wiederherstellung des europäischen Verkehrswesens die Beseitigung aller europäischen Verkehrsbehinderungen, auch in Deutschland, und die Zusammenarbeit der europäischen Häfen.
  2. In Anbetracht der besonderen geographischen und geophysikalischen Verhältnisse Europas die baldige Schaffung eines europäischen Energie-Verbandnetzes, um die wertvollen Kraftreserven Europas an Wasser, Braun- und Steinkohle für alle Länder Europas ökonomisch auszuwerten.
  3. Die Revision – soweit erforderlich – und den raschen Abschluss der gegenwärtigen Politik der Demontagen, Restitutionen, Industrieverbote und Entflechtungen, da ihre Fortführung bei der Verbundenheit des europäischen Industriepotentials nicht nur dem betroffenen Gebiet, sondern auch der gesamteuropäischen Wirtschaft schweren Schaden zufügen würde.
  4. Zur Sicherung europäischer Erfindungen und Konstruktionen ein europäisches Patentgesetz. Die deutschen Patenthinterlegungen sollen in allen Ländern Europas schon jetzt die im internationalen Recht übliche Priorität genießen; die europäische Wirtschaft käme damit in den Genuss auch dieser Erfindungen und Konstruktionen. Es ist erforderlich, dass besonders die schlummernden Erfindungen im Interesse Europas nutzbar gemacht werden können.

Die beschlagnahmten Patente sollen Deutschland angerechnet werden.

  1. Stärkste Berücksichtigung der elementaren Interessen der breiten arbeitenden Schichten in allen Ländern Europas, Angleichung des Sozial- und Arbeitsrechts und dessen Entwicklung zu einer einheitlich-übersichtlichen Sozial-Gesetzgebung.
  2. Beschleunigung und Verstärkung der in Gang befindlichen vorbereitenden Maßnahmen zur Schaffung einer echten und umfassenden europäischen Wirtschaftsordnung, damit eine gesteigerte deutsche Wirtschaftsleistung zur Weiterentwicklung der gesamteuropäischen Wirtschaft und zur Hebung des allgemeinen Lebensstandards beitragen kann.

B. Die Europa-Union vertritt den Standpunkt, dass Deutschland baldigst in das in Aussicht genommene gemeinschaftliche europäische Währungssystem eingeschaltet werden muss. Bevor das aber möglich ist, müssen die aus der Vorkriegszeit bestehenden Verpflichtungen Deutschlands geordnet und muss seine wirtschaftliche Leistungsfähigkeit festgestellt werden. Die Europa-Union hält deshalb den baldigen Zusammentritt einer internationalen Wirtschafts- und Finanzkommission erster Sachverständiger für notwendig, um entsprechende Vorschläge zu machen und die Eingliederung Deutschlands in das europäische Währungssystem vorzubereiten.

Die Europa-Union weist mit Nachdruck darauf hin, dass der Verfall der deutschen Währung bereits zweimal 1923 und 1931, die schwersten gesellschaftlichen und politischen Folgen nicht nur für Deutschland selbst, sondern für die europäische Gesamtwirtschaft gehabt hat. Angesichts des immer engeren Zusammenwachsens der europäischen Wirtschaft würden derartige Folgen in der Zukunft von noch schwerwiegenderer Bedeutung sein, wenn nicht jetzt eine klare und eindeutige Feststellung der Leistungsfähigkeit und eine gründliche Bereinigung der Vergangenheit durchgeführt wird. Je schneller diese Klärung erfolgt, desto eher wird Deutschland ein wertvoller Faktor im Gesamtverband der europäischen Wirtschaft werden können.

C. Ausgehend von der Erkenntnis, dass die Landwirtschaft und die Ernährung besonderer Beachtung bedürfen, fordert die Europa-Union:

  1. Langfristige europäische Anbauplanung.
  2. Lenkung des Absatzes der landwirtschaftlichen Erzeugnisse innerhalb der europäischen Länder, und zwar durch die unmittelbar Beteiligten selbst.
  3. Umstellung der europäischen Landwirtschaft entsprechend den Bodenverhältnissen auf Anbau von Intensivfrüchten, sowie Steigerung der Viehwirtschaft.
  4. Ausbau der landwirtschaftlichen Veredelungsindustrie.
  5. Anbau brachliegenden Landes, wodurch auch ein wesentlicher Beitrag zur Lösung des gesamteuropäischen Problems der Heimatvertriebenen geleistet würde.
  6. Steigerung der Fabrikation von Kunstdünger zur verbilligten Versorgung der Landwirtschaft und zur Entlastung der Zahlungsbilanzen der Länder.
  7. Beschleunigte Durchführung von Meliorationen1, um eine Rationalisierung der Landwirtschaft zu erreichen.
  8. Ausbau des landwirtschaftlichen Genossenschaftswesens auf europäischer Grundlage.
  9. Förderung des landwirtschaftlichen Schulungswesens und Austausch von Bauernsöhnen zur Weiterbildung.

D. Eine gesunde Wirtschaft ist die Grundlage für eine gehobene Wirtschaftsethik und diese ihrerseits Voraussetzung einer gerechten Sozialordnung.

Die Neugestaltung der intereuropäischen Bindungen auf dem Gebiete der Wirtschafts- und Sozialpolitik erfordert auch eine neue Wirtschaftsgesinnung, die in den Mittelpunkt des Wirtschaftens wieder den arbeitenden Menschen stellt.

Kultur

Die Europa-Union erstrebt:

  1. Ausbau der persönlichen und kulturellen Beziehungen unter den europäischen Völkern in Kunst, Literatur, Wissenschaft und Erziehung.
  2. Gegenseitige Hilfeleistung in materieller, beruflicher und geistiger Hinsicht, insbesondere für die Jugend und ihre Organisationen.
  3. Europäische Lehrpläne und Lehrmittel für die Jugend- und für die Erwachsenenbildung.
  4. Einführung und Anerkennung eines europäischen Abiturs (Maturum).
  5. Durchführung von Ferienkursen, Gründung und Unterstützung europäischer Bildungseinrichtungen: Akademien, Universitäten und Volkshochschulen, die Schaffung europäischer pädagogischer Akademien für die Lehrerausbildung, die zur Förderung europäischen Denkens von überragender Bedeutung ist.

Die Europa-Union legt mit diesen Beschlüssen das Ergebnis ihres ersten Delegierten-Kongresses in Hamburg ihren Mitgliedern und der Öffentlichkeit vor. Sie fordert alle auf, die an die Zukunft eines geeinten Europas glauben, an der Verwirklichung dieser Ziele mitzuarbeiten.


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  1. Entweder ist hier der österreichische Terminus gemeint: Maßnahmen zur Bodenordnung – also eine Änderung der Grundstücksgrenzen, oder aber der deutsche Terminus: Maßnahmen zur Werterhöhung des Bodens, oder des Schweizer Begriffes: der umfassenden Restrukturierung der ländlichen Räume. Ich tendiere hier zur österreichischen Variante. ↩︎