Anhang 1

Entschließungstext der Federal Union (Herbst 1939)

„In Europa gibt man nicht einseitig seine Souveränität auf, sondern man tauscht sie gegen europäische Souveränität ein.“ (Kemal Derviş 2005: 23)

Diese Richtlinien sind der Entschließungstext der 1938 gegründeten Federal Union, mit dem diese im Vereinigten Königreich, in den Vereinigten Staaten von Amerika, der Schweiz und auch bei den Widerstandsgruppen in Europa warben. 1973 wurden diese Richtlinien zu einem der neun Grundlagendokumente der Europäischen Föderalisten erklärt und ich erachte besonders in diesen Tagen vor allem anderen den letzten Teil „Die Mitgliedschaft“ als Maßstab, an dem sich alle Staaten orientieren sollten. Dieser Text erschien zuerst in deutscher Übersetzung in der Friedens-Warte 40, Nr.1/2 von 1940, Seite 113-1151

Richtlinien der Federal Union vom Herbst 1939

Grundsätzliches

Die Federal Union geht von der Überzeugung aus, dass die Menschheit nie von Krieg und Kriegsgefahr befreit werden kann, solange sich die Völker der Erde nicht zu einer wesentlichen Beschränkung ihrer nationalen Souveränität bequemen.

Beim heutigen Stand der Dinge ist es unerlässliche Pflicht jeder Regierung, die Interessen ihres Staates vor allem anderen zu wahren. Der dadurch bedingte Kampf der Interessen gegeneinander ist eine Hauptursache der Kriege.

Diesem Übelstande kann nur abgeholfen werden, wenn eine neue Ordnung die Interessen der einzelnen Nationen mit dem Allgemeinwohl in Einklang bringt.

Das gerechteste und Dauer versprechende Mittel hierzu ist ein föderativer Bund, wie er mit Erfolg in fünf zum Teil sehr bedeutenden Ländern eingeführt worden ist.

Verfassung

Die Federal Union tritt deshalb dafür ein, dass die Grundlage des künftigen Friedens eine große Völker-Föderation auf demokratischer Grundlage sei und dass die Vorbereitungen zu ihrer Verwirklichung unverzüglich in die Hand genommen werden.

Natürlich ist es unmöglich, am Ende dieses Krieges schon eine Föderation in der vollkommenen Ausgestaltung der schweizerischen auf internationalem Boden zu realisieren. Aber ein erster Schritt muss getan werden, ein Schritt, der groß genug ist, um die Welt vor neuen großen Kriegen zu bewahren und in der Folge auch eine endgültige Lösung unserer Probleme mit den Mitteln des Rechts herbeizuführen.

Die Federal Union hält die nachstehenden Vorschläge für das mindeste, was zur Erreichung dieses Zieles notwendig ist:

Bundesorgane

Es ist eine oberste bundesstaatliche Regierungsgewalt einzusetzen. Diese muss durch freie Stimmabgabe von den Bürgern der ganzen Föderation gewählt werden und daher ihnen verantwortlich sein.

Wie diese Regierung auch im Einzelnen gestaltet sei, sie muss so zusammengesetzt sein, dass sie

a) verhindert, dass ein einzelner Mitgliedstaat durch seine Volkszahl oder wirtschaftliche Kraft ein Übergewicht erlangt und den Gang der Dinge allein bestimmt,

b) jedem Mitgliedstaat, und sei er noch so klein, einen angemessenen Anteil an der Gesetzesarbeit und an der Leitung der gemeinsamen Politik gewährt.

Eine solche über staatliche Regierungsgewalt sollte umfassen:

a) eine obere gesetzgebende Kammer, in der jeder Staat gleiches Stimmrecht hat,

b) eine untere gesetzgebende Kammer, in der sich die Vertretung nach der Volkszahl richtet,

c) eine Exekutive, die von der unteren Kammer aus ihrer Mitte gewählt wird,

d) einen Gerichtshof mit der Aufgabe, die Rechte der Bürger, der einzelnen Staaten und des Bundes der Verfassung gemäß zu wahren und alle Streitigkeiten zwischen Mitgliedstaaten friedlich zu schlichten.

Zuständigkeit des Bundes

Diese überstaatliche Regierungsgewalt muss voll zuständig sein auf allen Gebieten, in denen eine gemeinsame Regelung den Interessen der Völker besser dient als eine solche durch die Einzelregierungen.

Im Besonderen muss sie, damit Kriege unmöglich werden, die volle Verfügungsgewalt haben in Sachen der Landesverteidigung und der Aufrechterhaltung der Ordnung (also über alle militärischen Machtmittel zu Lande, zu Wasser und in der Luft), des internationalen Verkehrs und der auswärtigen Beziehungen der Föderation.

Darüber hinaus muss die Bundesgewalt zuständig sein in allen Fragen der Kolonien, der Wanderung und der auswärtige Beziehungen der Mitgliedstaaten, um zu verhindern, dass ein Interessengegensatz auf einem dieser Gebiete den Frieden oder den inneren Zusammenhang der Föderation gefährde.

Schließlich muss die Bundesgewalt, damit der wirtschaftlichen Anarchie als der Hauptursache von Kriegen eine Ende gemacht werde, das Recht haben, Bestimmungen zu erlassen über den Handel, die Geldverhältnisse, Kapitalbewegungen, Arbeitsbedingungen usw., und ganz allgemein das Recht,

a) den Handel der ganzen Föderation und ihrer Teile, innerhalb und außerhalb ihrer Grenzen, zu fördern,

b) für die wirtschaftliche Sicherheit und die Wohlfahrt aller Völker der Föderation zu sorgen, sowie

c) Die eigene Kraft der Föderation nach außen, namentlich im Falle einer Gefahr, zu entwickeln.

Auf allen anderen Gebieten muss die Unabhängigkeit der einzelstaatlichen Regierungen aufrechterhalten und gewährleistet werden.

So würden die Völker, die sich der Föderation anschließen, ihr Eigenleben in Sprache, Sitten und Einrichtungen, ihre eigenen Regierungsformen und ihre wirtschaftliche und soziale Struktur behalten, vorausgesetzt, dass diese nicht in offenbarem Widerspruch zu den Grundlagen der Föderation stehen.

Die Mitgliedschaft

Wer einmal dem Bund beigetreten ist, kann nicht wieder austreten.

Die Föderation muss von Anfang an als Kern einer künftigen Weltföderation betrachtet werden und daher die Möglichkeit besitzen, sich jederzeit durch den Beitritt anderer Staaten zu vergrößern.

Sie muss allen Staaten offen stehen, die bereit sind, ihre Grundsätze und ihren demokratischen Aufbau anzuerkennen. Der Beitritt neuer Staaten ist zu erleichtern, und dies muss in der Verfassung vorgesehen sein.

Es liegt auf der Hand, das die Föderation am Anfang nicht zu groß sein darf; denn ein Bund von Wenigen wird mit kleineren Schwierigkeiten geschaffen werden können, als ein Bund von Vielen. Aber die Föderation sollte groß genug sein, um gegen Angriff oder Bedrohung von außen volle Sicherheit zu gewähren.

Mag die anfängliche Zusammensetzung auch ideologisch oder geographisch bedingt sein, diese Einschränkung darf jedoch nicht als wesentliche Voraussetzung und als bleibend angesehen werden, weil dadurch die Gefahr der dauernden Trennung der Welt in feindliche Gruppen heraufbeschworen würde.


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  1. “Richtlinien der «Federal Union»-Bewegung (1939).” Die Friedens-Warte, vol. 40, no. 1/2, 1940, pp. 113–115. JSTOR, JSTOR, Aufgerufen unter Internet-Hyperlink: http://www.jstor.org/stable/23775241. Zuletzt aufgerufen am 21.12.2018 ↩︎